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Spirituelle Impulse und Anregungen

  • Unser Streben nach Glück und die Erfüllung, die bleibt

    Bertram Dickerhof SJ, September 2020

    Offenbar sind wir Menschen regelrecht beherrscht vom Streben nach Glück, auch wenn wir die Last des Besitzens spüren. In Indien habe ich verstanden, dass der Arme, der auf der Straße lebt, sich keineswegs mit der Freude der Armut begnügt, die der reiche Westler so sehr beneidet, sondern von einer Hütte im Slum träumt und danach von einer kleinen Wohnung in einem besseren Viertel. Derjenige, der ein Fahrrad hat, arbeitet für ein Moped, dann für ein Auto. Wer Arbeit hat, schaut sich nach einer auskömmlicheren und befriedigenderen Tätigkeit um… Ähnliches gilt auf der gesellschaftlichen und staatlichen Ebene. Eine unterdrückte Gesellschaft wie in Syrien oder in Belarus sucht Freiheit und politische Mitbestimmung. Die Wirtschaft tut alles, um uns zu verkaufen, was das Leben etwas bequemer, etwas angenehmer, bunter, abwechslungsreicher, gesünder – kurzum: glücklicher – zu machen verspricht. Auch ein Teil der Spiritualitätsbranche lässt sich hier einordnen. Dieses Streben nach Glück ist so stark, dass es sich über die Vernunft hinwegsetzt: wir sehen das in Zeiten von Corona am Umgang mancher Mitbürger mit der AHA-Regel, an der Ausbeutung der Natur und der Erde gegen die Grenzen des Wachstums und der Moral, da die reichen Länder die Ressourcen aufzehren, die den sich entwickelnden Ländern zustehen.

    Dieses dauernde Glücksstreben kann ja nur so zu verstehen sein, dass das Glück, das auf diese Weise gefunden wird, nicht taugt. Es ist von kurzer Dauer: ist das Erstrebte erlangt, fühlt man sich satt und zufrieden. Schon bald beginnt das Auge jedoch unruhig herumzuschauen, was es denn nun noch Erfreuliches geben könnte. Und wenn dann etwas entdeckt ist, beginnt das Streben von Neuem. Das Glück des Habens weist noch einen weiteren Mangel auf: Es ist eigentlich ganz schnöder Lohn für die eingesetzte Arbeit. Es ist nichts weiter als ein Deal, für den man zahlt, und oft genug ist es nicht einmal ein guter Deal, weit entfernt davon, Würdigung des eigenen Wesens oder gratis gewährte Gabe des Lebens zu sein.

    Wer dies durchschaut, fängt an, den Mangel an bleibender Erfüllung zu spüren. Einer Erfüllung, die wirklich je mich meint, die mich im Kern meines Menschseins würdigt und bejaht. Bleibende Erfüllung kann nur Geschenk sein und nicht Lohn. Sie kann also nicht angestrebt werden. Und sie bleibt. Sie liegt auf einer ganz anderen Ebene als Stimmungen, die glückliche und schlechte Stunden des Lebens in uns auslösen.

    Doch wie kann eine solche Erfüllung gefunden werden? Da sie nicht durch Haben-Wollen zu erreichen ist, bleibt nur, die Hindernisse zu entfernen, die ihrem Empfang im Wege stehen, und zu warten. Diese Hindernisse bestehen vor allem in einem: in der Automatik, das Gefällige zu erstreben und das Missfällige zu vermeiden. Dieses Gesetz hat eine Voraussetzung und eine Konsequenz. Es setzt voraus, dass sich wahre Erfüllung herstellen lässt – in einem Leben, das auf den Tod zu lebt: ein Irrtum. Die Befolgung dieses Gesetzes zieht eine Knechtsmentalität nach sich, da der Mensch sich selbstverständlich dafür gebraucht, die Zwecke zu erreichen, die es ihm vorgibt. Dieses Hindernis zu entfernen und umzukehren, bedeutet dann, statt sich zu gebrauchen, sich selbst liebevoll zuzuwenden, in Kontakt zu treten mit dem Menschen, der ich selbst bin. Diese Zuwendung wird vermittelt durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, die hier und jetzt da ist, und die auch dasein darf, gleich ob sie gefällt oder missfällt. Offensichtlich ist diese Umkehr nur auf einem täglich gegangenen Weg möglich. Das Gebet ist der Ort, an dem die Wirklichkeit hier und jetzt mir innewird. Im Gebet wird eingeübt, was dem Empfangen der wahren Erfüllung dient: Liebevolle Zuwendung zu dem Menschen, der sich selbst sein lässt. Demut als Annahme der Wirklichkeit, wie sie ist. Gehorsam gegenüber dem, was sich dem Betenden als sein Handeln in der gegebenen Situation zu erkennen gibt. Vertrauen, Geduld… So gehen der Beterin/dem Beter die Augen auf für die Erfüllung, die bleibt.

    Welches Glück diese für den Menschen bedeutet, lässt sich nicht in Worten ausdrücken. Doch hat die bleibende Erfüllung damit zu tun, dass der Mensch befreit wird zu seinem wahren Selbst, mehr und mehr aus seinem Grund, der der Grund aller Wirklichkeit ist, leben kann und entdeckt, dass dieser Grund unbedingte Liebe ist, in deren Gegenwart er lebt, weil er sie in allem entdeckt, auch im Leiden.

  • Die Not-wendigkeit des Innehaltens und Verweilens bei dem, was ist.

    Petra Maria Hothum SND, August 2020

    Bei der Vermittlung und Einübung unserer Meditationsweise spielt in den Ashram-Kursen neben den einführenden Anleitungen eine regelmäßig stattfindende halbstündige Gesprächsrunde eine wichtige Rolle. Sie steht unter der Fragestellung: „Wie geht es mir in der Meditation?”, und die Teilnehmenden haben hier die Möglichkeit, ihre ganz konkreten Erfahrungen, Fragen und Schwierigkeiten mit dem Meditieren mitzuteilen und Hilfestellungen v.a. methodischer Art zu erhalten. Verschiedenste Aspekte kommen in diesen Runden zum Tragen, aber eines wird immer wieder sehr deutlich, wie stark nämlich beim Meditieren unsere Neigung zum Machen- und Etwas-Herstellen-Wollen ist. Und umgekehrt: wie schwer es uns fällt, in dieser Zeit der Stille einfach in der Wahrnehmung dessen zu verweilen, was wir jeweils von uns merken.

    So sehr wir uns einerseits genau danach sehnen, da sein zu dürfen, wie wir sind, mit dem, was gerade ist, so sehr erleben wir uns andererseits angetrieben von dem Bestreben, das, was wir jeweils vorfinden, direkt einzuordnen gemäß unserer Vorstellungen, wie die Meditation, wir selbst, eine Situation, andere … sein sollten. Und entsprechend wirken wir darauf ein: Wenn das, was wir bei uns erleben, uns gefällt, ordnen wir es als passend, angenehm oder bereichernd ein und streben unwillkürlich danach, es zu halten und zu vertiefen …; wenn uns das Erlebte jedoch schwierig, unangenehm, unpassend oder ungenügend erscheint, dann setzen wir ebenso unwillkürlich alles daran, es abzuwehren, zu vermeiden, zu verändern … – das alles oft, ohne dass uns so recht zu Bewusstsein kommt, was wir da eigentlich tun. Merken wir es oder werden darauf aufmerksam gemacht wie etwa in besagten Gesprächsrunden, dann kann dies eine wichtige Schaltstelle sein. Sie ermöglicht uns an- und innezuhalten, diesen wie selbstverständlich eingefleischten Mechanismus zu unterbrechen und uns wieder neu einzulassen auf das Wahrnehmen und Verweilen bei der eigenen Wirklichkeit hier und jetzt mit all ihren Facetten.

    Doch warum ist das so bedeutsam?

    Mit dem beschriebenen spontanen Einwirken-Wollen auf das, was wir bei uns vorfinden, vermeiden wir den unmittelbaren Kontakt damit und müssen so die ausgelösten Empfindungen nicht spüren. Wir bleiben auf diese Weise letztlich „in den guten und in den bösen Stunden hängen”, um mit Worten aus einem Text des Jesuiten Alfred Delp zu sprechen, der uns im Ashram Jesu sehr wichtig ist. „Wir erleben (diese Stunden) nicht durch bis zum Brunnenpunkt, wo sie aus Gott hervorgehen”. Ganz gleich, ob wir etwas festhalten oder ob wir es loswerden wollen und spontan die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, bleibt unsere Aufmerksamkeit damit gebunden im Außen und an der Oberfläche. Eine Chance zur inneren Begegnung mit dem, was jeweils ist, kann es nur im Durcherleben, also im wahrnehmenden Verweilen bei der Wirklichkeit hier und jetzt geben, bei dem man an sich heranlässt, was immer an Empfindungen damit verbunden ist. Dieser Weg führt in die Tiefe, zum Brunnenpunkt, wo das, was ist, aus Gott hervorgeht. Auf diesem Weg kann sich aus der Mitte der Person heraus etwas klären, lösen und wandeln in einer Weise, wie es an der Oberfläche nicht möglich ist. Und dies wiederum ermöglicht ein neues, vertieftes Handeln in Gegenwärtigkeit und Freiheit. Das aufmerksame, geduldige, liebevolle Verweilen bei dem, was ist, ist also nicht nutzlose Selbstbespiegelung, Passivität oder gar Stillstand, sondern letztendlich ein lebensnotwendiger Prozess.

    „In allem” – so noch einmal Alfred Delp – „will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort.” Alles, was ist, ist es also wert, gesehen, wahrgenommen und durchlebt zu werden, um so je neu zu einer Antwort aus der Mitte der Person zu finden. – Eine solche Antwort und ein solches selbstverantwortliches Handeln aus dem Kontakt mit dem eigenen Inneren scheint gerade jetzt in diesen verunsichernden, ja z.T. bedrohlichen Zeiten von besonderer Bedeutung zu sein. Von daher ist auch das An- und Innehalten und das Verweilen bei der eigenen Wirklichkeit gerade jetzt besonders not-wendig.

  • Corona und Achtsamkeit

    Petra Maria Hothum SND, Juni 2020

    Neben der Herausforderung sehen wir auch eine echte Chance, die Corona in sich birgt, ein wichtiges Lern- und Übungsfeld, das uns allen jetzt aufgegeben ist – hier in unserer Lebensschule, aber auch und vor allem im jeweiligen Alltag zu Hause. Die neuen Gegebenheiten und Abläufe laden ein zu einem vertieften Üben von Achtsamkeit, zur aufmerksamen, wachen und geduldigen Begegnung mit der Wirklichkeit, wie sie jetzt nun einmal ist. Sie laden ein zu merken, was ich eigentlich vollziehe oder vielleicht gerade nicht vollziehen kann und wie es mir damit geht. Sie laden ein, die anderen, mich selbst und den je eigenen notwendigen Raum bewusst wahrzunehmen, zu respektieren und zu schützen. Sie laden ein zu entdecken, was wirklich nötig ist, was ich tatsächlich brauche und was ich vielleicht auch lassen kann oder sollte. Sie laden ein, Mangel und Einschränkung nicht einfach spontan abzuwehren oder auf irgendeine Weise zu kompensieren, sondern an mich heranzulassen und zu durchleben.

    Wenn ich auf mein eigenes Erleben in den vergangenen Wochen zurückschaue, haben sich mir u.a. manche Alltagssituationen eingeprägt, in denen ich in meiner üblichen Routine unterbrochen, ja in denen ich förmlich angehalten wurde. So etwa, wenn es darum ging, „mal eben schnell” eine Kleinigkeit zu besorgen, was aufgrund vieler Regeln und Beschränkungen dann doch nicht „mal eben schnell” ging und mitunter auch gar nicht gelang, weil nämlich Zeit- oder Geduldbudget nicht ausreichten oder das Gewünschte einfach nicht vorhanden war.

    Selbstverständlichkeiten waren plötzlich aufgehoben, und so lästig und nervig ich das in mancher konkreten Situation vielleicht fand und finde, merke ich aufs Ganze gesehen doch, dass solche Erfahrungen, wenn ich sie bewusst an mich heranlasse, letztendlich eine öffnende, ernüchternde und zentrierende Wirkung haben. Und für diese kleinen Alltags-Lektionen in Corona-Zeiten bin ich wirklich dankbar – auch wenn mir und uns allen eine Welt ohne Corona natürlich lieber wäre.

    Dennoch: Vergleichbares habe ich in letzter Zeit immer wieder auch von anderen gehört, so etwa:

    „Im Augenblick fällt so manches weg, was man gar nicht mehr zurück haben möchte.”
    „Ich habe durch diese Zeit mehr gewonnen als verloren.”
    „Diese Situation bringt mich an Grenzen, aber ich merke, dass sich auch ganz neu etwas öffnet.”
    Und für manch einen hat in das eigene Zuhause neben der Arbeitsweise des Home-Office auch die Lebensweise des „Home-Ashram”, unsere online-Angebote, mehr Eingang gefunden.

  • Die Beziehung zu Gott wachsen lassen

    Bertram Dickerhof SJ, Mai 2020

    Inzwischen haben wir gemerkt, dass die Corona-Krise keine kurze Unterbrechung unseres gewohnten Lebens ist, sondern uns zwingt, ein neues Leben zu lernen, neue Formen von Kontakt zu entwickeln. Das gilt auch für die Beziehung zu Gott, zu der das derzeitige ablenkungsfreiere und durch Unsicherheit belastete Leben uns einlädt. Diese Beziehung zu Gott wird vor allem durch das persönliche Gebet gepflegt, das nicht dem Zufall oder Lust und Laune überlassen wird, sondern einen festen Platz im Alltag hat. Beten ist der Kern des Christlichen.

    Wer es üben will, wird sehr schnell merken, dass das oft ein wenig Überwindung kostet. Plötzlich erscheint alles andere wichtiger als die Zeit mit Gott im Gebet. Wer diese Hürde überwindet, merkt gewöhnlich auch etwas vom Trost und der Kraft des Gebetes.

    Zu Beginn ist eine Phase der Sammlung wichtig. Dabei helfen die Methoden, die Ihr aus dem Ashram kennt: das ruhige Atmen, während die Aufmerksamkeit das Heben und Senken der Bauchdecke begleitet, das Erspüren der eigenen Befindlichkeit und das wahrnehmende Verweilen dabei, „aufmerksam, gelassen und liebevoll.“ Wer mehr Erfahrung mit Gott hat, der findet in diesem wortlosen Innehalten und Lauschen in das Herz der Stille alles, was er oder sie sucht.

    Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es mehrere Möglichkeiten:

    • was man von sich selbst beim Innehalten gewahrt, als Bitte, Dank, Vorwurf,…. an Gott richten;
    • einen Gebetstext sprechen; Psalmen eignen sich dafür gut, z.B. Ps 23, 90, 103, 121, 123, 130, 131, 138, 139, aber auch Gebete aus dem Gesangbuch oder sonstigen Gebetbüchern. Dabei kann sehr helfen, den Text Wort für Wort zum Atem zu sprechen und auf das Echo des Wortes in einem selbst zu lauschen; oder ein Wort zum Atem zu wiederholen, das ein solches Echo in einem auslöst;
    • einen Abschnitt aus einem Evangelium lesen, z.B. den Text des Evangeliums vom kommenden Sonntag. Ich habe mir dazu die App „Die Bibel, Einheitsübersetzung 2016”, des Kath. Bibelwerks heruntergeladen. Auf unserer Webseite findet Ihr auch Methoden zum Umgang mit Bibeltexten.

    Bedenkt, dass die Beziehung zu Gott wachsen muss, dass sie wie jede Beziehung Pflege und Geduld braucht, und dass es wie in jeder anderen Beziehung, gerade die schwierigen Phasen sind, die die Beziehung vertiefen, wenn sie miteinander durchgestanden werden. Es gibt Durststrecken in der Beziehung zu Gott. Es wird immer wieder Phasen der Unruhe, der Ohnmacht, der Verunsicherung, des Sich-Fremd- und Unbehaust-Fühlens, der gefühlten Gottesferne geben. Das Gebet, ja das Leben überhaupt, entspricht dann nicht den eigenen Wunschvorstellungen. Aber solche Grenzerfahrungen verändern denjenigen, der an der Grenze bewusst aushält, weil sie bislang verborgene innere Bewegungen aufdecken. Es gilt, gelassen und liebevoll geschehen zu lassen, was geschieht. Auch die Jünger*innen Jesu haben sich seine Passion und seinen Tod nicht gewünscht. Die Frauen, die unter dem Kreuz verweilten, bei der Beisetzung Jesu zugegen waren, am und sogar im Grab aushielten, sie sind die ersten, die dem Auferstandenen begegnen. Sie blieben bei dem, was war. Die Verwandlung, die das Durchleben der Grenze bewirkt, ist eine Verwandlung vom Haben zum Sein, vom falschen zum wahren Selbst, vom Getriebensein zur Freiheit der Person.

  • Einander begegnen

    Bertram Dickerhof SJ, April 2020

    Auch wenn jetzt viel von Lockerungen geredet worden ist und damit die Vorstellung genährt wurde, dass die Corona-Krise im Wesentlichen überstanden sei und das Leben wie zuvor weitergehen kann, so halte ich das für einen Irrtum: Solange es nicht wirksame Medikamente und Impfstoffe gegen Covid-19 gibt, bleibt soziale Distanz das erste Gebot der Stunde und kann es ein Weiter-wie-vor-der-Krise-gehabt nicht geben für diejenigen, die verantwortungsvoll leben wollen. Deswegen ist es nötig, die Perspektive zu wechseln: statt wie gebannt auf das Ende der Ausnahme-Situation zu starren und schon mit den Füßen zu scharren, kommt es darauf an, mit dem Corona-Virus leben zu lernen und auszuhalten, was auszuhalten ist: die Unplanbarkeit des Lebens, für manche das ungewohnt dichte Aufeinandersitzen, das Zuhause-Bleiben-Müssen, finanzielle Ängste und Nöte. Wichtig ist, zu entdecken, welche Möglichkeiten im Rahmen der Krise bestehen, um sein Leben mit den Möglichkeiten hier und jetzt lebenswert zu machen: das kann Kochen statt Mikrowelle sein, das können gemeinsame Spaziergänge, gemeinsames Spielen, vielleicht auch gemeinsames Beten, Meditieren, … sein.

    Was, glaube ich, am meisten hilft, ist einander begegnen. Das ist nichts Selbstverständliches. Erst recht, da die Lebensweise unserer Suchtgesellschaft zuvor nahegelegt hat, sich in Events, ob alleine oder mit anderen, zu verlieren, dabei als Person unterzugehen, sich aufzulösen in rauschhaften Gefühlszuständen. Die ernüchternden Umstände der Krise sind günstig, um sich begegnen zu können, sogar in 2 m Abstand: Der gemeinsame Feind Corona schweißt zusammen, schafft ein Thema, das jeden betrifft, so dass es Begegnung vermitteln kann, wenn Interesse am anderen da ist und die Bereitschaft, sich aufrichtig zum eigenen Erleben zu äußern. Dann kann es diese gegenseitige Berührung geben, durch die sich Kraft, Zuversicht, Vertrauen, Bejahung mitteilen: „Alles wahre Leben ist Begegnung.” (Martin Buber). Dann ist zu erfahren, dass geteiltes Leid halbes Leid, und geteilte Freude doppelte Freude wird.

  • «Blick‘ in dein eig’nes Herz!»

    Petra Maria Hothum SND, März 2020

    Vor einigen Wochen fand im Ashram ein Kurs statt, der sich mit der spirituellen Wegweisung des islamischen Mystikers Rumi beschäftigte. Bei aller Unterschiedlichkeit in Bezug auf das, was Einzelne zum Besuch dieses Kurses motiviert hatte, zeigte sich im Austausch direkt, dass der Kurstitel „Blick in dein eig’nes Herz!” eine besondere Anziehungskraft auf die Gruppe der Teilnehmenden ausübte. Diese Aufforderung Rumis rührt an eine tief menschliche Sehnsucht, in Kontakt mit sich selbst, mit dem eigenen Inneren zu sein und aus diesem auch leben zu können. Und zugleich lässt dieser Imperativ vermuten, dass der Blick ins eigene Herz wohl alles andere als selbstverständlich ist, längst nicht so naheliegend und unmittelbar, wie man es eigentlich meinen sollte. Ja, es scheint einfacher zu sein, sich im Außen umzusehen und sogar weite äußere Wege zurückzulegen, als den Zugang zum eigenen Inneren zu finden – so jedenfalls Erfahrungen, die in der Kursgruppe geäußert wurden. „Die längste Reise ist die Reise nach innen”, mit diesen Worten fasst auch Dag Hammarskjöld, ehemaliger UN-Generalsekretär und christlicher Mystiker, sein spirituelles Suchen und Leben zusammen.

    Warum ist das so, warum stellt der Zugang zum eigenen Inneren einen so langwierigen und mühevollen Weg dar? – Ein wesentlicher Grund liegt sicher darin, dass das Äußere mit seinen Ansprüchen, Notwendigkeiten, Verlockungen und seiner oft geballten Macht sich immer wieder laut und fordernd meldet. Es drängt sich auf, bannt unsere Aufmerksamkeit und will bzw. muss auch Beachtung finden. Das Äußere verschafft sich unmittelbar Gehör, während das, was im Innern ist, normalerweise viel leiser und unscheinbarer daherkommt und in seinem An-Spruch oft nicht direkt zugänglich ist. Vielfach ist nicht so klar, was genau sich im eigenen Inneren regt, und es braucht Aufmerksamkeit und Zeit, geduldiges Hören und Abwarten, wieder und wieder, um zu merken, was sich da eigentlich zeigen und wohin einen dies bewegen möchte.

    Entsprechend lädt eine anderes Wort Rumis ein: „Warte, bis du in dich selber blickst; erkenne, was dort wächst.”

    Und der Dichter Rainer Maria Rilke drückt es folgendermaßen aus: „Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann; alles ist austragen – und dann gebären … Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben …” (aus Rilkes „Brief an einen jungen Dichter«).

    Warten, Geduld haben und den Dingen ihre Entwicklung lassen, das hört sich für viele wahrscheinlich nicht sonderlich attraktiv an. Es widerspricht unserer Tendenz zum Machen-Wollen, unserem Wunsch, die Dinge im Griff zu haben, sie schnell und erfolgreich abzuwickeln, für Problematisches umgehende Lösungen zu finden und bei Mangelndem prompte Abhilfe oder wenigstens Entlastung schaffen zu können. Mit dem Warten hingegen verbinden wir eher Passivität und untätiges Laufen-Lassen. Doch gemeint ist in den zitierten Worten etwas anderes, nämlich achtsames Dasein, Präsenz, geduldiges Verweilen bei dem, was jetzt ist. Leben in einer solchen Haltung bedeutet eine richtige Mühe, eine Arbeit, die jedoch nicht im Machen, sondern vor allem im Empfänglich-Sein und –Bleiben besteht. Dies beinhaltet auch das Aushalten bei Verschlossenem, Widerständigem, bei dem, was sich nicht auf die Schnelle klären und lösen lässt, Aushalten in Mangel, Spannung, Unbequemem und Unsicherem. So da zu sein heißt immer wieder auch, Erwartungen loszulassen und offen zu bleiben für das Unverfügbare. Auf diesem Weg öffnet sich der Zugang zum Inneren. Und der Kontakt damit hat Aus-Wirkungen. Aus ihm kann schließlich ein Handeln im Außen erwachsen, das nicht einfach Re-Agieren auf äußere Antriebe und Reize ist, sondern ein Agieren aus der Mitte der Person, aus einer persönlichen Geklärtheit und Verantwortung, die auch verantwortliche und tragfähigen Lösungen hervorbringen kann.

  • In innerer Freiheit leben ist wichtiger als Besitz, Macht und Ansehen

    Bertram Dickerhof SJ, Februar 2020

    In Cervantes‘ Don Quijote bringt es dessen Diener und Gefährte Sancho Pansa zum Statthalter von Batavia (heute Jakarta, Indonesien). Doch eines Tages ging Sancho Pansa zum Stall und alle folgten ihm. Er umarmte seinen treuen Esel, gab ihm einen Friedenskuss auf die Stirn und sagte zu ihm, nicht ohne Tränen in den Augen: „Komm her, du mein Freund und Gefährte in meinen Drangsalen und Leiden. Als ich mit dir eines Sinnes lebte und keine anderen Gedanken hatte als die Sorge, dein Geschirr zu flicken und dein Bäuchlein zu pflegen, da waren meine Stunden, meine Tage und meine Jahre glückselig; aber seit ich dich verlassen und auf die Turmhöhe des Ehrgeizes und Hochmutes gestiegen bin, seitdem sind mir tausend Qualen, tausend Drangsale und zehntausend Kümmernisse in die Seele gedrungen.”

    Während er so sprach, sattelte er seinen Esel, ohne dass jemand ein Wort sagte; und sobald der Sattel aufgelegt war, stieg er mit großen Schmerzen und Beschwerden auf seinen Grauen, wandte sich an alle, die ihn in großer Zahl umstanden, und sagte: „Gebt mir den Weg frei meine Herren, und lasst mich heimkehren zu meiner alten Freiheit; lasst mich mein früheres Leben suchen gehen, damit es mir zur Auferstehung hilft aus dem gegenwärtigen Tod.

    Ich wurde nicht geboren, um Herrscher zu sein, noch um Städte und Inseln zu verteidigen gegen Feinde, die sie überfallen wollen. Ich versteh mich besser aufs Pflügen und Graben, aufs Beschneiden und Okulieren der Reben, als aufs Gesetze-Geben oder das Verteidigen von Provinzen und Königreichen. Am wohlsten ist es St. Peter in Rom; ich meine am wohlsten ist jedem, der dem Beruf nachgeht, zu dem er geboren wurde. Mir liegt besser eine Sichel in der Hand als ein Herrscherstab; lieber will ich mich an einer Krautsuppe satt essen, als einem lästigen Doktor elend ausgeliefert zu sein, der mich vor Hunger umkommen lässt; lieber streck ich mich im Sommer in den Schatten einer Eiche und wickle mich im Winter in einen abgewetzten Schafspelz und bleibe dabei in meiner Freiheit, als mich in der Knechtschaft einer Statthalterei zwischen holländische Betttücher niederzulegen und mich in Zobelpelze zu kleiden.

    Behüt‘ euch alle Gott, verehrte Herren, und sagt dem Herzog, meinem gnäd’gen Herrn: Nackt bin ich heut und nackt ward ich geboren; hab‘ nichts gewonnen und nichts verloren. Ich will damit sagen, dass ich die Herrschaft hier ohne einen Pfennig antrat und ohne einen wieder gehe, recht anders als Statthalter anderer Inseln sonst fortzugehen pflegen. Jetzt geht beiseite und lasst mich fort… .”

    Die Leute wollten Sancho Pansa nicht ziehen lassen, doch es gab für ihn kein Zurück mehr; so nahmen sie voneinander Abschied, und er ließ sie zurück voll Verwunderung über seine Worte wie über seinen so festen und verständigen Entschluss. (II. Buch, Kapitel 53)

    Es ist die Sehnsucht nach seiner alten Freiheit, die Sancho Pansa die Kraft gibt, loszulassen, was ihm nicht entspricht und ihn geradezu getötet hat. Das Leben in der alten Freiheit ist nicht ohne „Drangsale und Leiden”, es ist ein Leben ohne Luxus. Es ist Auferstehung seines wahren Selbst. Der Text lädt zu vielerlei Überlegungen ein. Vielleicht habt Ihr Lust, Euch von ihm begleiten zu lassen in den nächsten Wochen der Fastenzeit. Schön wäre, wenn er in dem einen oder der anderen die Sehnsucht wach werden lässt, zu seiner/ihrer alten Freiheit heimzukehren, mehr zu leben, was der eigenen Person wirklich entspricht, damit dies „zur Auferstehung hilft aus dem gegenwärtigen Tod.”

  • Empfänglichkeit und Offenheit

    Bertram Dickerhof SJ, Januar 2020

    Der 1. Januar ist in der katholischen Kirche der Gottesmutter Maria geweiht, eine sehr gute Wahl, wie ich finde. Wenn man die biblischen Texte naiv nimmt, d.h. so, wie sie dastehen, tritt dem Leser aus ihnen eine Frau entgegen, die mit unglaublicher Offenheit das Leben, das auf sie zukommt, an sich heranlassen und sich ihm anvertrauen kann: „Mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lk 1,38). Mit Entscheidungen tun Maria und auch Josef sich nicht schwer (Mt 1,24; 2,13-23). Dass ihnen ihre Entscheidungen so klar und gewiss werden, ist letztlich ein Geschenk Gottes: in den Texten ist es ja jeweils der Engel, ein Gottesbote, der sie überbringt. Dass ein solcher Engel nicht jederzeit zu jedem kommt, wissen wir aus eigener Erfahrung. Der Engel kann ja auch nur zu den Empfänglichen kommen, zu denen, die offen sind.

    Empfänglichkeit und Offenheit sind jedoch keine Selbstverständlichkeiten. Weder von außen noch aus unserem Herzen kommt uns stets nur Angenehmes entgegen. Auch die Botschaften, die der Engel Maria und Josef bringt, sind nicht nur Frieden und Freude: im Leben Mariens geht nichts mehr so weiter wie gehabt, eine unsichere Zukunft liegt vor ihr. Und Josef hat die Entscheidung zur Migration zu vollziehen.

    Da also Empfänglichkeit und Offenheit Verletzungsgefahr in sich bergen, müssen sie gelernt und geübt werden, und Maria lehrt uns, wie das geht. Denn es heißt: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk 2,19). Was sie tut, ist keine reine Kopfsache. „Im Herzen“ sind Empfindungen, Gefühle, Motive mit dabei, die gewogen, geprüft, er-fahren werden wollen. Das braucht Zeit und Raum, um dabei verweilen zu können. Das ist nicht nur Aussuchen der schönen Empfindungen, sondern auch Wahrnehmen der schmerzlichen. Im Silvesterkurs erzählte eine junge Frau, dass sie sich im vergangenen Jahr einem für sie schwierigen Thema gestellt habe. Während sie sprach, saß sie hoch aufgerichtet auf ihrem Stuhl, voll Freude und Würde. Das ist des Erwägens-im-Herzen unmittelbare Wirkung. Die weitere Folge der Freude und Aufrichtung ist, dass Vertrauen und damit Offenheit und Empfänglichkeit wachsen.

  • Innehalten – Innewerden – Sich wandeln lassen – Tun: der Weg zu bleibender Erfüllung

    Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2019

    Antonio Guterres wählte auf der Madrider Klimakonferenz deutliche Worte, um das Ausmaß der Krise aufzuzeigen. Zurzeit zerstöre die Menschheit wissentlich die Ökosysteme, die sie am Leben erhalten, beklagte Guterres. „Wir müssen endlich zeigen, dass wir es ernst meinen damit, den Krieg gegen die Natur zu beenden. Wenn wir nicht schnell unseren Lebensstil ändern, gefährden wir das Leben an sich”, sagte er.

    Das ist also das Ergebnis der Weise, uns zu ernähren, uns fortzubewegen, zu wohnen und überhaupt zu leben. Überraschend kommt das nicht. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Club of Rome auf die Grenzen des Wachstums hingewiesen. Genutzt hat es nichts. Die Weltgemeinschaft beschäftigt sich seit 1992 mit dem Klima, fasst Beschlüsse zur Reduktion des CO2-Ausstoßes, was diesen nicht hindert, seitdem um 69% anzusteigen. Die Grenzen des Planeten zu respektieren, fällt dem Menschen, der auf Erfüllung angelegt ist und diese in irdischen Gütern sucht, deswegen so schwer, weil er sie in ihnen letztendlich nicht findet und deswegen immer mehr haben muss, Besseres, Neueres, Modischeres… Nun ist die Menschheitsgeschichte an dem Punkt angekommen, an dem offenkundig wird, dass der Mensch sich selbst und die Natur zerstört, wenn er wie bisher weiterhin seine erfüllte Welt anstrebt. Ob er in den Folgen des Kimawandels umkommt oder gut versorgt stirbt, in jedem Fall wird er es unerfüllt tun.

    Es sei denn, er lebt im Geist der Weihnacht:
    An Weihnachten feiern wir die Geburt eines Menschen, der seine Erfüllung nicht in dieser Welt anstreben musste: Jesus Christus war Gott gleich [dazu macht sich jeder, der seine erfüllte Welt erschaffen will], hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,6-8). Menschen wie ihn, die sich den Gesetzen der Erde unterwerfen und die Grenzen annehmen können, die aufgeben können, bleibende Erfüllung auf der Erde erstreben zu müssen, braucht  die Menschheit heute. Jesus reift heran im Gehorsam. Gehorsam ist sein Charakteristikum. Dieser Gehorsam ist ein Prozess, der aus folgenden vier Schritten besteht:

    Innehalten
    Innewerden
    Sich wandeln lassen
    Tun

    In diesen vier Schritten, so klein sie zu sein scheinen, schlägt das Herz des Christlichen, sie sind der Kern aller mystischen Traditionen der Weltreligionen. Sie sind das Lernprogramm bleibender Erfüllung. Im Innehalten wird der Mensch seiner Wahrheit inne, die er nur annehmen kann, wenn er seine illusionären und ichbezogenen Vorstellungen loslässt. Sich fallen lassen kann er jedoch nur, wenn er vom unbegreiflichen Geheimnis der Gottheit ergriffen ist. Sein Sturz befreit ihn zum Kontakt mit seinem wahren Selbst: das ist Christus. Durch ihn empfängt er den Geist Gottes, den er in seinem Tun in der Welt inkarniert. Die vier Schritte des Gehorsams führen in das trinitarische Leben Gottes.

    Mehr als in den Jahren zuvor empfinde ich Weihnachten dieses Jahr als die Einladung, ernst zu machen mit der Umkehr, zu der der Zauber der Krippe und des neugeborenen Kindes uns einlädt und die Lage des Planeten uns zwingt, in der Hoffnung, die Erfüllung eines Lebens in Freiheit und Liebe in der trinitarischen Gottheit zu finden.

  • Klimawandel und Religion

    Bertram Dickerhof SJ, October 2019

    Wir erleben in unserer Zeit, wie Diesseitserlösungsideen obsolet werden: zuerst hat sich der (real existierende) Marxismus als untaugliches Instrument erwiesen. Er hat die Gesellschaften, die ihn zu verwirklichen suchten, durch Unfreiheit und mangelnde Güterversorgung enttäuscht. Das hat der kapitalistischen Organisation unseres westlichen Lebensstils erheblichen Auftrieb gegeben. Dieser hat Bankenkrise und islamistischen Terror bisher überstanden. Doch nun kommt bei uns an, was seit etwa einem halben Jahrhundert bekannt ist: dass das Wachstum Grenzen hat. Wir beginnen diese Grenzen durch die von unserem Lebens- und Produktionsstil mitverursachte Erderwärmung zu spüren. Drastisch zu spüren! Unsere Weise zu leben ruiniert nicht nur uns selbst, sondern durch das Klima den ganzen Planeten. „Wir sind am Beginn eines massenhaften Aussterbens. Und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum” sagte Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel im September in New York. In der Tat: Klimaerwärmung heißt nicht nur extremeres Wetter, sie heißt Zerstörung, Hunger, Flucht und Tod.

    Wir müssen also nun den Planeten retten. Hoffentlich ist diese Aufgabe nicht zu groß für uns. Wie kann es gelingen, den babylonischen Turm unseres Lebensstandards so um- und abzubauen, dass wir aus dem Straßengraben Umweltzerstörung heraus finden, ohne in den anderen einer Klimadiktatur und ihrer Gegner zu fallen?

    Die Einschnitte, die die Rettung des Klimas erfordert, werden unser Leben tiefgreifend verändern. Zum Beispiel wird individuelle Mobilität sehr teuer werden. Statt schnell mal, wenn einem das Dach auf den Kopf fällt, wie bisher hierhin und dorthin zu fahren oder zu fliegen, wird es dann öfter heißen müssen: bleib zu Hause! Was dabei das Problem ist? Nach einigen Stunden ermüdet auch das hunderste Fernsehprogramm. Dann stösst er auf seine Unzufriedenheit, seine Nervosität, vielleicht gar seine Leere und begreift, dass eine wesentliche Triebfeder seines Lebensstils ist, das Unangenehme im Leben nicht an sich herankommen zu lassen.

    Wer meditiert, weiß hingegen aus eigener Erfahrung:

    1. Die Erde ist nicht in ein Schlaraffenland zu verwandeln. Jede Erfüllung, die sie gewährt, vergeht auch wieder. Ist die Erfülltheit vergangen, ist Unerfülltheit da. Unerfülltheit gehört zum Leben des Menschen dazu wie der Tod auch.
    2. Streben, das aus dem Wegkriegen-Wollen der Unerfülltheit und des „Es–ist–nie–genug!” geboren wird, ist zerstörerisch. Der westliche Kapitalismus scheitert an seinem Grund legenden Credo: dass aus dem selbstsüchtigen Streben des Einzelnen das Wohl aller entsteht. Dieses Wohl aller, des ganzen Planeten, steht nun aber auf der Kippe.
    3. Die Unerfülltheit ist jedoch auch eine Chance: Sie zu ertragen ist ein Weg zur Selbstwerdung, zur Humanisierung und zur Entdeckung des Absoluten. Sie ist ein Weg zu einer Erfülltheit ganz anderer Art, die sich erst im Tod vollendet.

    Diese drei Punkte sind Botschaft der Religionen. Die Klima- und Umweltkrise ist technologisch allein nicht zu bewältigen. Zu sehr droht sie die gängige „Spiritualität” des „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot” (Jes 22,13; 1Kor 15,32) zu stören. Sie fordert zu einer Spiritualität heraus, die einen bescheideneren Lebensstil begünstigt, das Leben entschleunigt, vom Druck entlastet, „sein Leben in dieser Welt gewinnen” (Mt 16,26) zu müssen,  und es attraktiv macht, Zeit für und mit anderen Menschen zu haben. Wohl Euch, die Ihr meditiert!